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„Was Bürger*innen der Politik voraushaben? Sie hören zu!“

5 Fragen an Georg Kaser

Der Klimarat der Bürgerinnen und Bürger in Österreich hat seine Arbeit abgeschlossen. Hat er? 93 Forderungen und Empfehlungen wurden den politischen Entscheidungsträgerinnen übergeben. Die Bürger*innen aber haben sich zu einem Verein zusammengeschlossen. Weil jetzt Druck gemacht werden soll. Der Glaziologe und IPCC-Autor Georg Kaser hat den Prozess des Klimabürger*innenrats wissenschaftlich koordiniert und geleitet. Er ist auch Mitbegründer des Zukunftspakts Südtirol. Wie sieht er die Arbeit des Klimabürger*innenrats? Und was können wir uns vom österreichischen Beispiel abschauen?

Georg Kaser

Der Klimarat der Bürgerinnen und Bürger hat 93 Empfehlungen für ein klimagesundes Österreich abgegeben. Welche sind für dich die drei wichtigsten?

Unter den 93 Empfehlungen ist eine ganze Reihe von starken Vorschlägen für Maßnahmen, sehr stark und mutig sind vor allem die „Prinzipien des politischen Handelns“ und die allgemeinen Empfehlungen. Das allerwichtigste Ergebnis ist aber, dass 88 Bürger und Bürgerinnen aus allen erdenklichen Lebenssituationen in nur wenigen, dafür intensiven und wohl strukturierten Arbeitswochenenden gleich mehrere Dinge gelernt haben. Erstens: den Fachleuten zuzuhören. Dann: anhand dieser Informationen und der unterschiedlichsten Lebenserfahrungen in äußerst konstruktiven Diskussionen entlang von 5 Handlungsfeldern potenzielle Hebel und Maßnahmen zu erarbeiten. Drittens haben sie mit kollektiv wachsendem Selbstbewusstsein weitgehend Konsens gefunden und in einer finalen Abstimmung (inklusive transparent kommunizierten Gegenstimmen und Enthaltungen) die Empfehlungen an die Politik angenommen. Dabei war es den Bürger*innen durchaus bewusst, dass sie und ihresgleichen sich aus diversen Wohlfühlzonen bewegen müssen. Das Endergebnis war getragen vom Bewusstsein einer großen Dringlichkeit zum Handeln und einem großen Verantwortungsbewusstsein. Ganz wesentlich: Das alles konnte in der kurzen Zeit nur mit einem exzellenten Moderationsteam gelingen!

Es war den Bürger*innen durchaus bewusst, dass sie und ihresgleichen sich aus diversen Wohlfühlzonen bewegen müssen.

Georg Kaser

Du hast den wissenschaftlichen Beirat des Klimabürger*innenrats geleitet. Was waren eure Aufgaben? Und wie habt ihr euch eingebracht?

Ich war eingeladen worden, zusammen mit der Grazer Umweltökonomin und, so wie ich, IPCC Autorin Birgit Bednar-Friedl den wissenschaftlichen Beirat zu koordinieren. Zu Beginn haben wir zusammen mit Ministerienvertreter*innen und Moderator*innen die fünf Handlungsfelder Energie, Wohnen, Ernährung & Landwirtschaft, Mobilität sowie Konsum & Produktion definiert. Diese Handlungsfelder sollten aus der Perspektive österreichischer Bürger*innen Relevanz haben. So wurden etwa die globalen Finanzmärkte nicht als Handlungsfeld inkludiert. Andererseits wurde aber an Querschnittsthemen wie rechtliche Rahmenbedingungen oder soziale Verantwortung gedacht. In der Folge haben wir 14 Kolleg*innen eingeladen, die die wissenschaftlichen Expertisen zu den Themenfeldern einbrachten. In vielen Vorbereitungssitzungen haben wir Informationsmaterial aufbereitet und dann in Kurzvorträgen präsentiert. Kollegin Bednar-Friedl und ich haben zum Einstieg aus den IPCC-Teilberichten den Stand des Klimawandels und des Wissens darum erklärt. Die Kolleg*innen haben an den folgenden Arbeitswochenenden mögliche Hebel, deren Wirksamkeit, aber auch deren mögliche Nachteile dargestellt. Von da an und in den folgenden 3 Wochenenden haben die Bürger*innen weitgehend allein gearbeitet. Wir waren zwar anwesend oder via Web oder Telefon abrufbar, haben jedoch nicht mehr aktiv eingegriffen. Die Tatsache, dass wir greifbar waren, hat sich als ein sehr wichtiger Aspekt erwiesen. Diese Zusammenarbeit mit den Bürger*innen hat uns Wissenschaftler*innen einen neuen Weg gezeigt, wie wir zu tragfähigen, ausgewogenen und weitreichenden Entscheidungen beitragen können.

Bürger*innenrat – ein von der Politik kontrovers gesehenes Instrument der Demokratie. Aus deiner aktuellen Erfahrung: Was kann ein Bürger*innenrat leisten, was Abgeordnete und Regierung nicht können?

In erster Linie kann ein Bürger*innenrat den Entscheidungsträger*innen (nicht nur politschen) zeigen, dass Bürger und Bürgerinnen, wenn man ihnen den Rahmen und die Gelegenheit bietet, ein hohes Maß an sachlicher und politischer Mündigkeit haben. Sie sind bereit, Verantwortung zu übernehmen und damit jenen Politiker*innen den Rücken zu stärken, die willens sind, sich den großen Herausforderungen einer gesellschaftlichen Transformation zu stellen. Sie zeigen den Politiker*innen aber auch, dass fachlicher Erkenntisgewinn für verantwortungsvolle Entscheidungsfindungen unerlässlich ist und wie das gehen kann. Als die Vertreter*innen der Parlamentsparteien zu Besuch waren, hat eine Bürgerin diesen geraten, von ihnen, den Bürger*innen zu lernen, wie man zuhört und respektvoll und sachlich miteinander diskutiert.

In erster Linie kann ein Bürger*innenrat den Entscheidungsträger*innen zeigen, dass Bürger und Bürgerinnen, wenn man ihnen den Rahmen und die Gelegenheit bietet, ein hohes Maß an sachlicher und politischer Mündigkeit haben.

Georg Kaser

Der nächste Schritt: Es müssen Taten folgen. Wie geht’s weiter in Österreich?

Da es für den Bürger*innenrat (noch) keine rechtliche Grundlage gibt, obliegt es den agierenden Politiker*innen, zu entscheiden, was mit den Empfehlungen des Rats geschieht. Da die Medien eine sehr unterstützende Rolle eingenommen haben, wird der Bericht der Bürger*innen wohl nicht einfach von der Bildfläche verschwinden können. Das hängt natürlich vom Schicksal der derzeitigen Regierung ab. Die Bürger*innen wollen aber aktiv bleiben. Sie haben einen Verein gegründet, für den der Bundespräsident die Schirmherrschaft übernehmen wird. Er hat bei unserem Besuch diese Einladung angenommen, ohne mit der Wimper zu zucken. Übergeordnetes Anliegen des Vereins ist es, anhaltenden Druck auf die Regierenden zwischen Brüssel/Straßburg und den Heimatgemeinden auszuüben. Der wissenschaftliche Beirat hat sich bereit erklärt, bei Fragen zu helfen. Es geht also weiter.

Aus deiner Sicht, kann ein Bürger*innenrat auch in Südtirol Erfolg haben? Was erwartest du dir davon?
Ja, unbedingt. Ich hoffe, dass das sehr positive Beispiel aus Österreich auch als wertvolles und notwendiges demokratiepolitisches Instrument wahrgenommen wird. Wer sicher dagegen sein wird, sind die Interessensverbände, die dadurch natürlich eine Schwächung ihrer Rolle befürchten. Aber auch in Südtirol müssen die Politiker*innen und Verbandsvertreter*innen begreifen, dass den Herausforderungen des Klimawandels sowohl in Richtung Klimaschutz als auch in Richtung Anpassung nicht ohne die Einbindung von Bürger*innen begegnet werden kann.

Interview: Gabriele Crepaz